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Gläserne Decke – wer durchbricht sie zuerst

Gender Intelligence Report 2022 – erstmals mit Branchenfokus

14. September 2022

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Doch mangelt es tatsächlich so stark an Talenten, oder liegt es eher am Umgang mit dem Talentpool in der Schweiz? Dieser Frage geht der neuste Gender Intelligence Report nach. Der jährliche Bericht erscheint bereits zum sechsten Mal und wird gemeinsam herausgegeben von Advance, dem Wirtschaftsverband für Gleichstellung, und dem Kompetenzzentrum für Diversität und Inklusion (CCDI) der Universität St. Gallen. Ein Blick in die verschiedenen Branchen enthüllt: Die einen nutzen das vorhandene weibliche Potenzial wesentlich besser als andere. Eine weitere Entdeckung: Die gläserne Decke hat einiges mit der schweizerischen Kultur zu tun.

Medienmitteilung Press release Communiqué de presse Report online

Eine Frage sollten sich Unternehmen insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels stellen: Haben wir wirklich zu wenig Talente, oder nutzen wir das vorhandene Potenzial – insbesondere von gut ausgebildeten Frauen – zu wenig? Dieses Jahr erlaubt der Bericht zum ersten Mal einen Branchenvergleich und bringt substanzielle Unterschiede ans Licht in Bezug darauf, wie es den verschiedenen Sektoren gelingt, Frauen zu halten, zu entwickeln und bis in die oberen Führungsstufen zu befördern.
 
Als Kennzahl verwendet der Bericht hierfür den Glass Ceiling Index (GCI). Dieser Index sagt aus, ob Männer und Frauen anteilsmässig gleichermassen auf den Kaderstufen vertreten sind oder ob die einen unter- bzw. überrepräsentiert sind. Ausserdem wurde die Mitarbeitenden-Zusammensetzung auf weitere Diskrepanzen hin untersucht, etwa was das Ausbildungsniveau und die Verteilung der so genannten “Power-Positionen” (Positionen mit Einfluss und Entscheidungsverantwortung) anbelangt. Diese Faktoren stellt der Report in Zusammenhang zueinander, eruiert Gründe für die Lecks in der weiblichen Führungspipeline und leitet Massnahmen zur Verbesserung ab.

+3 Prozentpunkte Anstieg beim Frauenanteil in Kaderpositionen seit 2020

Insgesamt ist der Frauenanteil in Kaderpositionen lediglich um 3 Prozentpunkte gestiegen (2020-2022). Interessant: Firmen, die seit Jahren bewusst an der Erhöhung von Geschlechterdiversität im Unternehmen arbeiten, zeigen wesentlich bessere Ergebnisse. So haben Advance-Mitgliedsunternehmen 24% Frauen im mittleren Kader, während Firmen, die nicht Advance-Mitglieder sind, nur 18% erreichen; im oberen/obersten Kader sind es 19% vs. 14%. Advance-Mitglieder verpflichten sich, das Thema aktiv im Unternehmen voranzutreiben.

Geschlechterverteilung pro Kaderstufe Advance- vs. Nicht-Advance-Unternehmen

Eine Frage der Unternehmenskultur

Die besten Ergebnisse, d.h. die dünnste gläserne Decke, erzielen jene Unternehmen, die Diversität und vor allem auch Inklusion sowohl in der Unternehmensstrategie als auch in den individuellen Zielen von Führungspersonen verankert haben. Massnahmen dieser Art scheinen eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der Frauen ihr Potenzial entfalten können.

Überraschend: MEM-Industrie nebst Pharma/Medizinaltechnik unter den Vorzeigebranchen

Einen Glass Ceiling Index von 1, d.h. absolute Gleichbehandlung entlang der Hierarchiestufen, erreicht noch kein Sektor. Allerdings sticht die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM) zusammen mit der Pharma-/Medizinaltechnik-Branche mit einem Index von 1.9 heraus. Versicherungen und Banken hingegen schliessen mit einem Index von 3.3 bzw. 3.1 am schlechtesten ab.

Interessant ist, dass ausgerechnet diejenige Branche, die traditionell am wenigsten Frauen anzieht, am meisten aus ihrem weiblichen Potenzial macht. Mit ein Grund dafür dürfte sein, dass in der MEM- wie auch in der Pharma-/Medizinaltechnik-Branche kaum eine Diskrepanz im Ausbildungsniveau zwischen Frauen und Männern besteht. Anders etwa in der Versicherungsbranche: Hier gibt es einen Unterschied von 9 Prozentpunkten bei den Tertiärabschlüssen von Frauen und Männern im Nicht-Kader in der Altersgruppe bis 30, während über das gesamte Sample in dieser Altersklasse bereits Ausbildungsgleichstand herrscht. Für Kaderpositionen ist ein Tertiärabschluss die Norm.

Glass Ceiling Index (mittleres/oberstes Kader) nach Branchen

In der Medienbranche sind Frauen an der Basis der Führungspipeline sogar leicht besser ausgebildet als Männer: Im Nicht-Kader verfügen 65% der Frauen über einen Tertiärabschluss, gegenüber 63% bei den Männern. Als Grund für den tiefen Frauenanteil von 21% im oberen/obersten Kader (vs. 53% Frauen im Nicht-Kader) wird bei den Medien unter anderem der hohe Teilzeitanteil bei den Frauen vermutet: 51% der Frauen arbeiten hier in Teilzeitpensen. Teilzeit scheint bis in die unteren Kaderstufen relativ gut möglich zu sein, in den oberen Kaderstufen hingegen sind Vollzeitpensen die Norm. Die Medienbranche erzielt einen Glass Ceiling Index von 2.7 und ist damit etwas schlechter als der Durchschnitt von 2.5.

Machtgefälle praktisch unverändert

Das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern ist nach wie vor sehr gross: Positionen mit Einfluss (Personal- und Budgetverantwortung) sind zum grössten Teil in Männerhand – auch innerhalb der jeweiligen Kaderstufen. 75% aller Positionen mit Personalverantwortung im oberen/obersten Kader sind von Männern besetzt.

Frauen und Männer nach Kaderstufe und Personalverantwortung

Schweizer Kultur als Bremsfaktor: 3.5-mal grösseres Leck bei Schweizer Frauen

Die Analyse zeigt: Je schweizerischer eine Branche ist (gemessen am Anteil der Schweizer Mitarbeitenden), desto weniger geschlechterdivers ist sie bzw. desto dicker ist die gläserne Decke. Dies deutet darauf hin, dass sich die Schweizer Kultur immer noch schwer damit tut, Frauenkarrieren als selbstverständlich zu erachten. Besonders interessant: Das Leck in der weiblichen Führungspipeline ist bei Schweizer Frauen 3.5-mal grösser als bei Nicht-Schweizerinnen. Konkret schrumpft die Vertretung von Schweizer Frauen vom Nicht-Kader bis ins obere/oberste Kader um 21 Prozentpunkte (von 31% auf 10%) gegenüber 6 Prozentpunkten bei Nicht-Schweizer Frauen (von 13% auf 7%). Was steckt dahinter? Einerseits die weit verbreitete Teilzeitkultur, dann aber auch die immer noch stark geschlechter-getrennten Karrierewege und schliesslich die schwierige und kostspielige Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Frauen und Männer nach Nationalität und Kaderstufe

Erwerbsmässige und finanzielle Gleichstellung als Voraussetzung

Solange ein Grossteil der Frauen in Teilzeit arbeitet und der Mann die Rolle des Hauptversorgers übernimmt, wird sich am bestehenden Machtgefälle nur wenig ändern. Dieses zieht sich durch alle Lebensphasen bis ins Pensionsalter, in welchem vor allem Frauen mit Vorsorgelücken zu kämpfen haben. Erwerbsmässige und finanzielle Gleichstellung sind daher ebenso relevant wie partnerschaftliche Modelle rund um die Familienarbeit, um tatsächliche Gleichstellung zu realisieren.

Teilzeit nach Geschlecht und Nationalität

20 oder 100 Jahre bis zur Parität?

Neben ernüchternden Erkenntnissen zeigt der diesjährige Gender Intelligence Report vor allem eines: Es geht! Wenn alle Branchen so viele Frauen ins Kader rekrutieren und befördern würden wie die MEM-Industrie, könnten wir in der Schweiz bereits in 20 (!) Jahren Geschlechterparität erreichen und würden so dem Fachkräftemangel die (weibliche) Stirn bieten. Machen wir weiter wie bisher, wird es noch gut 100 Jahre dauern. Wir haben es in der Hand. Wer sich dafür interessiert, was die Besten anders machen als die anderen, findet im Bericht übrigens eine praktische Auflistung erprobter Erfolgsfaktoren. Damit gehören Mythen wie “Frauen würden ja gar nicht wollen” von nun an ins Archiv.

Fulminante Kampagne zum launch

Die Publikation des Berichts wird von einer Kampagne begleitet. Sie soll bei Führungskräften und Entscheidungsträger:innen das Bewusstsein fördern, dass das Potenzial von gut ausgebildeten Frauen noch längst nicht ausgeschöpft ist und dazu inspirieren, die richtigen Schritte zu tun, um das zu ändern. Die Kampagne läuft von Mitte September bis Mitte Oktober in den sozialen Medien. – Knacken wir die gläserne Decke gemeinsam!

LET’s break the glass ceiling together!

Wer die Kampagne teilen möchte, findet das Kampagnen-Video hier. Gerne mit dem “tag” @Advance – Gender Equality. Herzlichen Dank!

#breaktheglassceiling #genderintelligencereport #genderequality #inclusion #diversity

Der Report in den medien

Die Schweizer Nachrichtensendung 10vor10 sowie der Tagesanzeiger und weitere grosse Titel haben den Bericht bereits aufgegriffen. Besondere Aufmerksamkeit bekommen dabei kulturelle Aspekte, die mit ein Grund sind für den bescheidenen Fortschritt in Sachen Geschlechtervielfalt in den Kadern von Schweizer Firmen. Im Tagesanzeiger interviewt die Autorin Edith Hollenstein Top-Bankerin Florence Schnydrig Moser. Florence Schydrig Moser ist Head Private Banking bei der Zürcher Kantonalbank und im Vorstand von Advance.
“Karrierechancen für Frauen” – Tagesanzeiger-Artikel Radio SRF – “Hohe Hürden auf dem Weg nach oben”

Über den Gender Intelligence Report

Der jährliche Bericht erscheint bereits zum sechsten Mal und ist eine Zusammenarbeit zwischen Advance, Wirtschaftsverband für Gleichstellung, und dem Kompetenzzentrum für Diversität & Inklusion der Universität St. Gallen unter der Co-Leitung von Prof. Dr. Gudrun Sander und Dr. Ines Hartmann. Die Analyse basiert auf anonymisierten Daten von über 385’000 Mitarbeitenden aus 104 Unternehmen und Organisationen in der Schweiz (entspricht über 7% der arbeitenden Schweizer Bevölkerung).
Hier geht’s zum Report

Medienkontakt für weitere Informationen
Alexandra Rhiner, Communication Manager Advance, alexandra.rhiner@weadvance.ch,
Tel. 076 332 85 83

Über ADVANCE

Advance ist mit 137 Unternehmensmitgliedern der führende Wirtschaftsverband für Gleichstellung in der Schweiz. Advance setzt sich aktiv für mehr Frauen im Kader ein. Es ist erwiesen, dass gemischte Teams bessere Entscheidungen treffen, innovativer und meist profitabler sind. Mit einem konkreten Programm unterstützt Advance Firmen darin, Diversität in Wettbewerbsvorteile zu übersetzen. Denn Gender Equality ist ein Gewinn für Männer, Frauen, Unternehmen und die Gesellschaft als Ganzes. –
Advance hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2030 in allen Mitgliedsunternehmen einen nachhaltigen Mindestanteil von 30% Frauen in allen Führungsebenen zu erreichen.

Advance Mitglieder

über CCDI

Das Competence Centre for Diversity & Inclusion (CCDI) ist eines der führenden Forschungsinstitute im Bereich Diversity & Inclusion (D&I) in der Schweiz. Es bietet Organisationen Benchmarking, gezielte Unterstützung, Beratung sowie Training an, um D&I organisationsintern zu stärken und zu managen. Das Team verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung auf diesem Gebiet.

Diversity Benchmarking

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